Apfelringli – die Alternative zu Hagelnetzen
Die Grosseltern waren Marktfahrer, führten einen «Gemischtwarenbetrieb» mit Milchwirtschaft, Acker- und Obstbau und vererbten wohl das Direktvermarkter-Gen. Die Eltern spezialisierten sich aufs Tafelobst. Und die Jungen gehen einen neuen Weg. Sie haben das Land verpachtet und setzen nur noch auf Schwiegermutters Apfelringli. Und dies mit einem gewaltigen Erfolg.
Der Blick durchs Küchenfenster bei Familie Kauderer ist fantastisch. Die schöne Thurgauer Landschaft mit den vielen Obstbäumen ist selbst bei feuchtem Wetter wunderschön. Etwas mehr als einen Kilometer Luftlinie entfernt breitet sich der Bodensee aus. Das Anwesen, der Hofladen und die gemietete Fabrik machen einen gepflegten Eindruck. Hier fühlt man sich wohl. Das sieht auch Roland Kauderer so. Mit ein Grund, warum er überhaupt hier lebt. Denn er wollte nicht zwingend Obstbauer werden. Aber die Wohnqualität sei halt einfach spitze hier, sagt er. Und dass er, der Bauernsohn, nun Unternehmer ist, ist dem Lauf der Dinge zuzuschreiben.
«Ich hatte keine Freude»
1994 übernahmen er und seine Frau den elterlichen Betrieb, den der Vater zuvor zu einem reinen Obstbaubetrieb umfunktioniert hatte. Aber Roland Kauderer zweifelte. Spätestens dann, als es darum ging, dass er mindestens einen Viertel seiner Obstbäume mit Hagelnetzen hätte schützen sollen. Ein grosser Aufwand. Aber wer einwandfreie Ware liefern will, muss das Obst schützen. «Das hat mir keine Freude gemacht, und mein Schwager riet mir, halt etwas zu suchen, was Freude machen könnte», erzählt Roland Kauderer. Da die junge Familie bereits 1994 einen Hofladen einrichtete, zeigte sich plötzlich ein Weg. Kauderers befolgten den Rat eines Freundes und beobachteten genau, was die Leute einkauften im Laden. «Es waren nicht die gewöhnlichen Äpfel!», sagt Kauderer. Sirup, Konfitüre und Eier dagegen gingen weg wie frische Semmeln. Ebenso das Selbstgebackene. Und einen richtigen Run gab es auf Schwiegermutters getrocknete Apfelringli, welche sie den Jungen für den Verkauf geschenkt hatte. «Da hat es klick gemacht», sagt Roland Kauderer, und alsbald waren die vier Dörrex-Geräte der Schwiegermutter ständig in Betrieb – und trotzdem reichten die Apfelringli hinten und vorne nicht aus. Als Kauderer 1998 dann auch noch eine Tagung zum Thema Dörrobst besuchte, war der Fall klar: Dies sollte die Zukunft sein. Aus den 50 Kilogramm Äpfeln, die zu Beginn getrocknet wurden, sind 200 und schliesslich 800 Kilogramm täglich geworden. Heute verarbeitet die Familie Kauderer mit vielen Helfern zwischen 2000 und 2500 kg Früchte pro Tag.
Hoffen auf Nomination
2004 bewarben sich Kauderers für den agroPreis und gaben an, dass ihre Innovation eine Notlösung sei. Erstens die Lösung dafür, auch Äpfel, die einmal ein Hagelkorn abbekommen, noch sinnvoll zu verwerten, und zweitens waren gedörrte «Schnitzli» oder «Öpfelringli» vor der Erfindung des Kühlschrankes «nur» eine günstige Möglichkeit der Konservierung. Diese Innovationen stachen – und Kauderers gewannen mit ihrer Notlösung, die zum Lifestyle-Produkt mutiert war, den Preis, setzten sich gegen 130 Konkurrenten durch. «Mein Ziel war es, zumindest nominiert zu werden», sagt Roland Kauderer, der im Bereich Marketing von seinem Schwager unterstützt wird. Er erinnert sich noch gut an die «phänomenale Freude», die er und seine Familie damals verspürt hatten. Die Neider, ja, die habe es gegeben, aber eigentlich schon zu Beginn, als man realisiert habe, dass er, der kein richtiger Bauer mehr gewesen sei, Erfolg habe. Aber natürlich verhalf der Preis zu noch mehr Publizität und damit zu einer erneuten Welle des Erfolgs. Mittlerweile beschäftigen Kauderers dreissig Personen, welche sich zirka sieben Vollzeitstellen teilen, etliche der «Stundenfrauen» sind seit Beginn weg dabei.
2005 mieteten sich Kauderers in der Nähe in eine leer stehende Fabrik ein, und auch dort droht der Platz langsam knapp zu werden. Die Nachfrage nach Apfelringli ist nach wie vor gross, und auch der Hofladen erfreut sich immer noch sehr grosser Beliebtheit. Und wenn Roland Kauderer so durch die Produktionsräume geht und übers ganze Gesicht strahlt, spürt man, wie froh er ist, dass er sich einst gegen die Hagelnetze entschieden hat.